Sie ist erst 22 Jahre alt, doch die gelernte Zimmerin gewann nicht nur mehrere Leistungswettbewerbe und wurde Dritte bei den Deutschen Meisterschaften 2019 – Katja Wiesenmüller ist auch die erste Frau, die jemals mit der deutschen Zimmerer-Nationalmannschaft gestartet ist. Für FrauenZimmer hat sie in einem sehr persönlichen und bewegendem Bericht aufgeschrieben, wie es zu all dem kam.
Katja Wiesenmüller:
Vorweg muss ich ehrlicher Weise zugeben, dass ich kurz vor Abschluss meiner Ausbildung gar nicht so viel über die Nationalmannschaft der Zimmerer wusste. Es war immer Ziel, die Ausbildung so gut wie möglich abzuschließen. Jedoch wusste ich, dass eine gute Note für mich zwar möglich sei, aber sie auch nicht überdurchschnittlich gut werden würde. Erst am Tag meiner praktischen Gesellenprüfung wurde mir dann gesagt, dass meine Punktzahl eventuell für den Kammersieg reichen würde. Und mit dem Augenblick begann erst meine Recherche.
Mit ein wenig Glück wurde ich tatsächlich Kammersiegerin der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade. Darüber habe ich mich riesig gefreut, da dies unter anderem die Qualifikation zum niedersächsischen Landesentscheid bedeutete. Gerade wusste ich, dass es solche Wettbewerbe überhaupt gibt, schon fand ich mich mittendrin wieder. Beim Landesentscheid haben wir uns unter der Leitung von Landestrainer Ralf Junge (Ausbilder in Stade) vier Tage auf den Wettbewerb vorbereitet, ehe es dann am Montag an die Prüfungsaufgabe ging. Acht Stunden Adrenalin, die sich gelohnt haben, da ich Landessiegerin wurde. Der Landessieg bedeutet wiederum die Qualifikation zur Deutschen Meisterschaft.
In dem Jahr fand sie in Rostrup in Bad Zwischenahn statt. Also für mich, da ich aus Niedersachsen komme, eigentlich ein Heimspiel. Hier wurden die Eindrücke und Erfahrungen vom Landesentscheid getoppt. Mit etwas Stress, aufgrund von kurzer Vorbereitungszeit, bin ich zur DM gefahren. Hierzu muss ich sagen, dass ich keinerlei Erwartungen hatte. Ich war bereits schon sehr stolz, dass ich überhaupt teilnehmen durfte und wusste, dass meine Leistungen eher nicht mit denen der anderen Teilnehmer vergleichbar waren. Mein Ziel bestand darin, dass ich, einfach gesagt, alles schaffe was in meinem Bereich des Möglichen lag. Hier waren es dann nicht acht Stunden Adrenalin, sondern ganze drei Tage lang konzentriert sein und „schiften was das Zeug hält“.
Diese drei Tage stand ich sehr unter Anspannung, sie haben mir aber auch unglaublich viel Spaß gebracht. Meine Familie, Freunde und mein Chef kamen zur Unterstützung. Diese sagten mir zwischendurch, dass ich zeitlich gesehen angeblich ganz gut dabei war. Am letzten Abend folgte die Siegerehrung. Ich wurde 3. Bundessiegerin bei der DM 2019.
Noch am selben Abend, fragte mich der Teamleiter der deutschen Nationalmannschaft, der gleichzeitig auch in der Prüfungskommission tätig ist, ob ich Lust dazu hätte, bzw. ich es mir vorstellen kann, Teil der Nationalmannschaft zu werden. Ich konnte es kaum fassen, dass ich die Chance erhielt, Mitglied der Nationalmannschaft zu werden. Einfach ein überwältigendes Gefühl, an das ich vorher zu keinem Zeitpunkt gedacht hatte.
Ich entschied mich also für die Nationalmannschaft und damit auch gegen den Meister. Mein Plan war eigentlich in wenigen Monaten den Meister in Kassel anzufangen, aber es wird empfohlen: Entweder Meister oder Nationalmannschaft. Da der Weg in die Nationalmannschaft recht kompliziert und einmalig ist, war die Antwort „Nationalmannschaft“ für mich nur logisch und schnell ausgesprochen.
Nach ein wenig Auszeit folgten erste Trainingseinheiten. Wir bekamen Stauden, Pullover, eine Jacke und somit im Prinzip eine Komplettausstattung mit dem Logo der Nationalmannschaft und durften also die Nationalflagge auf dem Ärmel tragen. Hier muss ich ehrlich zu geben, erfüllte mich purer Stolz und riesige Freude, dass ich die Möglichkeit bekam, mein Land zu repräsentieren.
Die Trainingseinheiten waren auf der einen Seite sehr anstrengend und bei mir mit langen Fahrten durch Deutschland verbunden. Auf der anderen Seite habe ich unheimlich viel unter den Trainern gelernt, mitgenommen und viel Spaß zusammen mit den anderen Mitgliedern gehabt.
Abgesehen von den Trainingseinheiten, nimmt die Nationalmannschaft ebenfalls an Messen wie z. B. der Dach + Holz letztes Jahr in Stuttgart teil. In diesen Tagen des „öffentlichen Trainings“ fand ich es besonders interessant, viele neue Gesichter und Persönlichkeiten kennenzulernen, mit Ihnen in Kontakt zu treten und sich auszutauschen und solch eine Messe mal von einem anderen Standpunkt aus zu erleben.
Mitglied der Nationalmannschaft zu sein bedeutet jedoch nicht nur an Trainingseinheiten teilzunehmen, sondern immer die Ziele „EM“ und die „Worldskills“ im Blick zu haben. Es gehört auch dazu, dass man regelmäßig zu Hause trainiert, seine Stärken ausbaut, Schwächen versucht zu beheben und die Abläufe zu optimieren, um möglichst schnell viele Fortschritte zu verzeichnen, da einem persönlich nicht viel Zeit bleibt. Beide Wettbewerbe haben eine Altersbeschränkung.
Folglich muss der Ehrgeiz hoch sein, die Motivation beibehalten und viel Freizeit verwendet werden, um einerseits zu trainieren, andererseits aber auch, um z. B. seine Werkzeugkiste zu bauen oder Feinheiten an dem Schraubstock zu optimieren. Da eigentlich alle Mitglieder daheim in einem Angestelltenverhältnis stehen, wird in vielen Fällen ein Großteil des Jahresurlaubes für das Training zu Hause verwendet. Zwar hört sich dies sehr anstrengend und aufwendig an, aber ich kann eindeutig behaupten, dass sich alles gelohnt hat. Der Stolz, die Freude am Schiften und ein Teammitglied sein zu dürfen, sind den Aufwand definitiv wert.
Leider wurde letztes Jahr nun die Planung durch Corona durcheinander gebracht, sodass wir nicht allzu viele Trainingseinheiten hatten und wenn dann nur unter bestimmten Auflagen. Ebenfalls wurde die EM letztes Jahr abgesagt, bei der ich die Chance gehabt hätte, teilzunehmen. Aber so viel Spaß uns das auch macht und egal wie sehr uns dies am Herzen liegt, die Gesundheit und das Allgemeinwohl stehen an erster Stelle. Ich bin froh, dass ich noch vor Corona die Chance bekommen habe, Teil der Nationalmannschaft zu werden.
Zusammenfassend muss ich ehrlich zugeben, dass mir bis heute die richtigen Worte fehlen, um die Zeit, die ich seit der Gesellenprüfung erleben durfte, beschreiben zu können. Ich habe noch heute ein Grinsen im Gesicht, wenn ich an all die Momente und Situationen zurück denke und mir bewusst mache, dass ich so viel erleben durfte. Nun bin ich seit Anfang Februar dabei meinen Meister zu machen und kann letzten Endes sagen, dass es damals am Tag der Siegerehrung genau die richtige Entscheidung war, die Meisterschule um ein Jahr nach hinten zu verschieben, um Teil der Nationalmannschaft zu werden. Auch wenn mit dieser Zeit Stress, viel Arbeit und Sorgen einher gehen, lohnt es sich, auch im Zusammenhang mit der ständigen Unterstützung der Familie und Freunden, diese Chance anzunehmen. Die Zeit genießen, Spaß haben und das Lernen von neuen Tipps, Tricks und Handgriffen, waren mir in der Zeit am wichtigsten.
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